"Ich folge meinem Lebensmotto: Neugierig bleiben und in Bewegung sein."
Mirjam Reber
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Mirjam Reber arbeitete als Marketing-Projektleiterin bei der SBB und war massgeblich an der Entwicklung von kundenorientierten Innovationen wie der SBB Green Class, Smartway und dem SwissPass beteiligt.
Heute ist Mirjam Reber als Beraterin bei couniq tätig.
Mirjam Reber, 46 Jahre, arbeitet als Consultant und Coach im Bereich Organisation mit Spezialisierung Agilität.
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2009 startete sie ihre Karriere bei der SBB Personenverkehr als Kampagnenmanagerin Halbtax und GA. Ab 2011 entwickelte sie als Projektleiterin neue Geschäftsmodelle und Innovationsvorhaben wie den SwissPass und SBB Green Class.
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Seit 2020 arbeitet Mirjam als bei couniq (www.couniq.com) und folgt ein Masterprogramm MAS in Change Management und Organisationsdynamik.
couniq ist ein IT-Beratungsunternehmen mit Sitz in Bern. Consulting, Agile Leadership und Engineering sind die Hauptstandbeine der Firma, die 2001 gegründet wurde.
"Es tut sich eine Chance auf und man schlüpft in Schuhnummern, die gross sind, aber gerade richtig, um hineinzuwachsen."
"Aus Kundensicht haben wir mit SBB Green Class einen Nerv getroffen. Das war gigantisch."
"Ihr versteht das Handwerk, aus den Kundeninterviews die Essenz rauszuziehen
und als Entscheidungs-grundlage zur Verfügung zu stellen."
"Bei euch spürt man die Leidenschaft für das, was ihr tut. Auch wenn es Bedenken und Widerstand gibt."
Mirjam Reber, heute geht es um Dich und Deine Wachstumserfolge
Wer bist du?
Ich bin 46 Jahre alt, habe viel Lebensmut und Lebenslust und gehe mit offenen Augen und einem wachen Geist durch die Welt. Seit meiner Kindheit mache ich meistens, was ich gerne mache. Mit allen Hochs und Tiefs, aber eben immer in die Richtung, in die ich gehen und mich entwickeln will.
Was machst Du denn gerne?
Ich folge meinem Lebensmotto: Neugierig bleiben und in Bewegung sein. Das bedeutet, dass ich sehr wissbegierig bin. Ich lese praktisch alles, was mir in die Finger kommt, rede mit Menschen und bilde mich weiter. Zudem mag ich die frische Luft und bin gerne in der Natur unterwegs.
Wie hast Du das während Deiner beruflichen Stationen ausgelebt?
Eine erste wichtige Station war die Lehre als Optikerin. Mit 16 Jahren das erste Mal im Laden stehen und Kunden bedienen. Als ich die erste Brille für 1500.– CHF verkauft habe, war das ein prägender Moment für mich … wow! Das werde ich nie vergessen. Irgendwann wurde ich neugierig auf eine andere Welt. Ich wollte aus der Optikbranche raus. Was gar nicht so einfach war, denn man hat einen Stempel. Zuerst ging ich in den Kundendienst zur Reize Optik AG, einem Brillenglashersteller. Dies Routinearbeit hat mir wenig Spass gemacht. So habe ich mich innerhalb von Reize Optik in Richtung Marketing weiterentwickelt.
Der nächste prägende Moment war eine Laufbahnberatung. Die sagten mir: «Öffne deine Perspektiven! Du bist sehr breit interessiert, mach doch BWL.» Ich war 29 Jahre und entschloss mich, BWL zu studieren. Das hat sich ausbezahlt. Kaum war ich fertig, gingen die Türen auf und ich war bei der SBB. Da haben wir uns ja kennengelernt.
Genau. Was hast Du bei der SBB gemacht?
Es war für mich der nächste Wachstumsschritt. Ich startete im Kundenmanagement und hatte keine Erfahrung. Meine Chefin hat erkannt, dass ich jemand bin, der sich weiterentwickeln und wachsen will. Sie hat mir einen Mix an fordernden Aufgaben anvertraut und viel Freiheit gegeben, eigene Ideen umzusetzen. Ich war verantwortlich für die Kunden-Kampagnen für Halbtax- und Generalabonnemente, zwei strategisch äusserst wichtige Produkte. Plötzlich hatte ich eine Million Budget zu verantworten. In der Optikerindustrie waren es eher so 5000. Ich hatte grossen Respekt vor der Dimension. Aber es hat mich beflügelt. Es hat mich gestärkt, und ich merkte, dass ich diese Verantwortung übernehmen will.
Ein ziemlich gewagter Schritt!
Ja, aber die Chance musste ich packen. Nur so wächst man. Es tut sich eine Chance auf und man schlüpft in Schuhnummern die gross sind, aber gerade richtig, um hineinzuwachsen.
Danach wechselte ich zum SwissPass als Marketingprojektleiterin. SwissPass war ein neues Produkt, um öV-Abos auf eine Karte oder das Smartphone zu laden. Ich hatte vorher ein Master-Studium in CRM gemacht. Im letzten Modul haben wir psychologische Faktoren angeschaut und so bin ich in die Marktforschung reingerutscht. Der Titel meiner Masterarbeit war die Customer Journey des SwissPass.
Aus den Erkenntnissen haben wir Lösungsansätze entwickelt, die schrittweise umgesetzt wurden. So wurde trotz grosser Bedenken des Managements z. B. eine hürdenfreie Kündigung der Abos ermöglicht.
Entscheidend waren für mich alle Initiativen, die den Kundenmehrwert steigern. Zum Beispiel den SwissPass mit dem Skipass zu verknüpfen. Meine Aufgabe war, dazu das passende Geschäftsmodell zu entwickeln. Ich bin daran gewachsen und so immer mehr in die Innovation und Kundenorientierung gerutscht, was mir total entspricht.
Bei meiner Arbeit in klassischen Projekten und im Kampagnenmanagement hat mir der Kundenkontakt ein wenig gefehlt. Immer, wenn ich auf einem Kundenevent war oder Kundeninterviews geführt habe, habe ich gemerkt, dass mein Herz bei den Menschen und ihren Problemen ist. Und darum bin ich dann auch in die Innovation gegangen. Das ist näher beim Kunden, denn Innovationen müssen echte Probleme lösen.
Wir haben mit Dir zusammengearbeitet, als Du bei SBB Green Class warst. Wie ist es zu dieser radikalen Innovation gekommen?
SBB Green Class war etwas völlig Neues. Und der Pilot hat so richtig eingeschlagen. Das Konzept war ein Jahresabo mit einem Generalabonnement, einem BMW I3 und einem Parkplatz am Bahnhof. Und noch weitere Dienstleistungen. Und das zu einem guten Pilotpreis. Da haben wir einfach sehr viel richtig gemacht und ich bin auch stolz, dass das Konzept weitergetragen wurde. Der Moment war auch sehr gut, denn das Umfeld und die Kultur stimmte. Aus Kundensicht haben wir mit SBB Green Class einen Nerv getroffen. Das war gigantisch.
Wie hast Du das erlebt?
Wir waren ein High Performance Team. Innerhalb von 3 Monaten haben wir das Konzept auf die Beine gestellt und einen Prototypen lanciert. Wir kannten das Geschäftsmodell noch nicht. Auch das Kernversprechen des Produkts hat sich erst im Nachhinein herauskristallisiert. Es war nichts digitalisiert. Stunden nach der Lancierung bei 127 Pilot-Kunden haben wir gesagt, jetzt platzt unsere Excel-Liste. Das geht nicht mehr. Wir wurden schlicht überwältigt vom Kundenandrang in der Pilotphase.
Wieso hat Euch diese Reaktion überrascht?
Wir konnten das Bedürfnis und die Zahlungsbereitschaft im Voraus nicht einschätzen. Die eigentliche Innovation, und das haben wir auch erst im Nachhinein bemerkt, war das Gesamtpaket zu einem Fixpreis – etwas zwischen Leasing und Miete.
Auch erst später haben wir gelernt, wo die eigentlichen Probleme bei der Umsetzung liegen. Zum einen waren diese die Preisgestaltung, weil die gebrauchten Autos nach Ablauf des Vertrags wieder zurück kamen. Zum anderen war es die Anzahl Menschen in der Schweiz, welche ein ökologisches Mobilitätspaket von Tür-zu-Tür tatsächlich nutzen wollten.
Du hast vorher gesagt, dass Ihr auch ein paar Sachen wirklich richtig gemacht habt. Was war das?
Ein Erfolgsfaktor war sicher: Wir haben ein Kundenproblem gelöst und wir hatten ein kleines cross-funktionales Team mit Menschen, die bereit waren, etwas zu leisten. Man muss Leute im Team haben, die Eigeninitative haben und anpacken können, und nicht für alles entweder eine Agentur nehmen oder auf einen Auftrag warten. Es braucht Leute, die selber Verträge machen, das Excel füllen und mit den Kunden telefonieren.
Wie ging es mit Green Class weiter?
Ich wurde zum Co-Leiterin von SBB Green Class befördert. Ein nächster Sprung. Die SBB wollte die Gunst der Stunde nutzen und SBB Green Class in ein skalierbares Produkt entwickeln. Daran bin ich nochmals gewachsen – aber mit vielen Prellungen und Blessuren am Schluss. Dort bin ich an meine Grenzen gestossen.
Einerseits war die Co-Leitung eine grosse Challenge – wir waren unterschiedliche Typen und kamen aus unterschiedlichen Bereichen der SBB. Zudem habe ich nicht verstanden, wie man das Team aus dem Hamsterrad rausholt. Wir haben agil gearbeitet und sind dauernd im roten Bereich gelaufen. Wir wollten alle Ideen ausprobieren. Alles gleichzeitig und mit viel Engagement. Das kann man sechs oder neun Monate machen, aber irgendwann ist es nicht mehr gesund für die Menschen. So habe ich erkannt, dass ich besser verstehen will, wie wir als Team agil zusammenarbeiten.
Diese Führungs- und Organisationsthemen haben erneut meine Neugier geweckt. Ich sagte mir: Okay, jetzt musst du einen Sprung machen, das ist wieder ein wichtiger Moment. Ich will jetzt einen neuen Weg gehen in Richtung Organisationsentwicklung und Coaching.
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Wir haben dann bei SmartWay zusammengearbeitet, einer innovativen multimodale Reisebegleiter-App. Was war in diesem Projekt Deine Rolle?
Ich hatte eine Coaching-Funktion für das Team und habe die agile Organisation aufgebaut. Wir waren auch auf dieser Ebene sehr innovativ. Kollegiale Führung plus eine skalierbare, agile Entwicklungsorganisation. Wir haben die klassische Linienorganisation in eine selbstorganisierte Struktur überführt. Inklusive IT-Entwicklung und parallel mit einem externen Partner.
Wie hast Du Vendbridge während SmartWay wahrgenommen?
Als extrem kompetent. Ihr versteht das Handwerk, aus den Kundeninterviews die Essenz rauszuziehen und als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Mit einer stringenten und quantitativen Methode. Euer Ansatz führte dazu, dass wir den Schalter umgedreht haben. Vom Lösungsdenken ins Bedürfnisdenken. Ihr habt eine ganz neue Perspektive gebracht. Einige im Team haben das zwar nicht verstanden. Sie haben nicht daran geglaubt, dass man Kunden besser verstehen sollte, bevor man Features baut.
Was ist bei Vendbridge anders?
Ihr habt ein anderes Denken. Ihr seid nicht einfach Marktforscher. Euer Denkansatz, nicht über Lösungen zu reden, nicht über Meinungen, sondern nur über Jobs-to-be-done die Bedürfnisse des Kunden zu ergründen, das ist echt anspruchsvoll. Man muss sich wirklich damit auseinandersetzen wollen.
Was ist Dir am meisten geblieben? Wie hast Du das empfunden?
Das Lösen des Kundenproblems «Echtzeit Kundeninformation im Störungsfall» habe ich als sinnvoll und wertstiftend empfunden. Was wir mit der Job-to-be-done-Studie herausgefunden haben, würde ich heute noch unterstützen. Die Entwicklung der App als Reisebegleiter ist leider aufgrund einer Strategieänderung gestoppt worden, aber wäre goldrichtig gewesen. Was wir gemeinsam aufgedeckt haben,war technisch nicht einfach. Es hätte jedoch voll auf die Kundenbedürfnisse eingezahlt. Im Nachhinein hätte man die ganze Energie auf einen wertstiftenden Fokus setzen sollen.
Vielleicht ist es oft so: Ihr deckt Erkenntnisse auf, die nicht über den einfachen Weg zu adressieren sind. Und dann macht man es nicht, weil man sich von Widerständen bremsen lässt oder man von der Komplexität überfordert ist.
Bei euch spürt man die Leidenschaft für das, was ihr tut. Auch wenn es Bedenken und Widerstand gibt. Das finde ich echt der Hammer. Das macht etwas mit dem Gegenüber. Ihr habt uns unterstützt, als es nicht einfach war. Es war ein Grundinteresse an der innovativen Lösung da. Die Türen blieben immer offen. Ihr habt diese Empathie und Eure Erfahrung mitgebracht. Das hatte ich bei dem Spin Workshop bemerkt.
Du hast dann die SBB verlassen und bist zu couniq?
Ja genau. Ab in die Informatikwelt – als Nicht-Informatikerin. Es geht jetzt oft darum, zu erkennen und zu merken, wo es klemmt und was der beste – nicht der einfachste – Weg ist. Zusammen mit den Kunden und den Teams Schritt für Schritt zu wachsen. Das ist mein dritter Beruf und ich werde nächstes Jahr ein Masterprogramm MAS in Change und Organisationsdynamik abschliessen.
Was ist denn Wachstum für Dich überhaupt?
Ich verstehe unter dem Begriff vor allem persönliches Wachstum. Und so gedacht realisiert man erst im Nachhinein, dass man jetzt einen Entwicklungsschritt gemacht hat. Dabei ist das persönliche Umfeld entscheidend, also Partner, Familie und Freunde. Es ermöglicht, an sich zu glauben und die Momente durchzustehen, die nicht so lustig sind. Man muss zum Beispiel mehr zeigen, sich intern durchsetzen. Man muss mutig sein, um in den grösseren Schuh hineinzuwachsen.
Persönliches Wachstum kann man nicht erzwingen. Aber man kann den Samen setzen, den Nährboden geben, Geduld haben und seine Ziele und Vision verfolgen. Nicht hin- und herspringen, sondern wissen, wo die Sonne steht, wohin es gehen soll. Mir kommt immer das Bild, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Mal geht es voran, dann kommt halt auch wieder ein Stillstand. Das ist für mich Wachstum. Ich trage ein Foto mit mir herum, das diese Sicht symbolisiert.
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Vendbridge versteht Wachstum als Entwicklung und Veränderung. Es entsteht etwas Neues und es stirbt auch mal etwas ab. Siehst Du das ähnlich?
Ja genau, es geht um Entwicklung. Auch die Blessuren, die entstehen. Sie ermöglichen Entwicklung. Wenn ich andere Menschen in schwierigen Situationen sehe, habe ich immer die Zuversicht, dass sie daraus auch wieder Kraft schöpfen können. Sie sehen es vielleicht selber noch nicht oder brauchen etwas Hilfe. Ich will ihnen meine Haltung mitgeben, dass die Türe irgendwann wieder aufgeht. Du musst sie nur aufstossen, wenn die Gelegenheit passt.
Was würdest du der nächsten Generation Wachstumsarchitekten und -architektinnen mitgeben?
Seiner eigenen Stimme folgen. Seinen Stärken folgen. Bei mir ist das immer dann, wenn ich im Flow bin. Im Flow fällt mir das, was sich tue, leicht. Es gibt zwar Wissen und Kenntnisse, die ich trainieren kann, aber das sind nur 20% des Erfolgs. Es tut mir leid, wenn ich Leute sehe, die irgendwie nicht am richtigen Ort sind und nicht im Flow sind. Das ist irgendwie schade. Ihnen wünsche ich, dass sie ihre innere Stimme entdecken und ihr folgen.
Mirjam, ganz herzlichen Dank für Deine persönliche Perspektive zum Thema Wachstum.
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